Die Lust am Fabulieren: Erzähle dein eigenes Weihnachtsmärchen

Alte Frau, die durch ein Türfenster schaut. Davor steht eine eine junge Frau mit blumengeschmücktem Kleid und einem Regenbogen über dem Kopf

Es war einmal … Zu keiner anderen Zeit im Jahr dringen uns diese Worte so oft ans Ohr wie im Dezember. Genau deshalb bekommt mein inneres kleines Mädchen jedes Jahr leuchtende Augen, wenn die Adventszeit beginnt.

Die weihnachtlichen Zaubermärchen und -Geschichten haben mir nämlich schon als Kind die düsteren, kalten Tage versüßt und das Warten auf den Weihnachtsmann verkürzt: Vorgelesen von der Oma, in der gemütlichen Stube auf dem Sofa … Im Theater als Weihnachtsmärchen aufgeführt … Oder ausgestrahlt im Fernsehen als Märchenfilm …

Und ich lieb sie immer noch. Mit Sicherheit nicht als Einzige. 😉

Deshalb findest du heute in Andrea Beerbaums Wohlfühl-Adventskalender, dessen siebtes Türchen ich bestücken darf, eine Einladung zum Märchenerzählen. Dafür musst du kein neues Königreich erfinden, sondern kannst dich ganz bequem an den Zutaten bedienen, die schon zur Verfügung stehen.

Wenn du Lust hast: Schau einfach mal, an welchem gemütlichen Nachmittag oder Abend du dir ein bisschen Zeit für dein eigenes Weihnachtsmärchen nehmen kannst. Ob mit deiner Familie, deinen Kindern oder ganz für dich. In diesem Artikel findest du ein paar Anregungen dafür.

Altbekannte Märchen, neu erzählt

Garantiert ist dir auch schon aufgefallen, dass die bekannten Stoffe im Laufe der Zeit abgewandelt und immer wieder neu erzählt werden. „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ wird zum spektakulären Fantasy-Epos. Aus „Hänsel und Gretel“ werden abgebrühte Hexenjäger. Und „Cinderella“ gewinnt das Herz eines berühmten Popstars oder Selfmade-Millionärs.

Weil es in der Natur von uns Menschen liegt, Geschichten an unsere Lebenswelt und die darin herrschenden kulturellen Bedingungen und Werte anzupassen. Damit diese Geschichten wieder etwas mit uns zu tun haben und wir uns darin wiederfinden können.

Und was Schriftstellerinnen, Theaterregisseure und Filmschaffende dürfen, das dürfen wir selbstverständlich ebenfalls: Aus bestehenden Stoffen etwas Eigenes kreieren.

Was würdest du anders machen?

Also frag dich (und deine Kinder) mal: Welches Märchen, welche Weihnachtsgeschichte magst du besonders gern? Und was wäre nötig, damit es DEIN Märchen wäre?

Oder anders gefragt: Bei welcher Geschichte hast du insgeheim schon mal gedacht: „Wenn jetzt noch dies und jenes drin vorkommen oder passieren würde, DANN wär’s perfekt“?
Denk diese Möglichkeiten einfach mal weiter, schmück sie nach Lust und Laune aus.

Und dann: Schnapp dir Zettel und Stift, Pinsel und Farbe oder womit du dich sonst gerne ausdrücken magst, und halt sie für dich fest.

Ein paar Ideen gefällig?

Wie würde das Märchen weitergehen und enden, wenn …

Dornröschen nicht von einem Prinzen wachgeküsst würde, sondern von einer engagierten Gärtnerin, die der Meinung ist, dass diese hässliche dicke Dornenhecke dringend mal zurückgestutzt werden muss. Und nach getaner Arbeit den Eingang zum verzauberte Schloss findet …

die kleine Meerjungfrau sich weder in Meerschaum auflöst noch den Prinzen heiratet, sondern die Gebärdensprache lernt, mit der sie sich auch ohne ihre verlorene Stimme verständigen kann. Und dann auf dem Festland interessante Abenteuer erlebt …

… dieser Königssohn nicht die rechte Braut für sich findet und auch nicht an der Prinzessin auf der Erbse interessiert ist, weil er sich längst in seinen Leibwächter verliebt hat …

Oder wenn eine gewisse Witwe neben Goldmarie und Pechmarie noch eine dritte Tochter gehabt hätte …

Wenn ich hier schon zum Märchenerzählen einlade, denk ich mir natürlich auch selbst etwas aus. 😉

Frau Holle 2.0 oder: Das Märchen von der Buntmarie

Da saßen sie also auf ihrem Hof, die glänzende, schimmernde Goldmarie, ihre Stiefschwester, die von oben bis unten mit Pech bedeckt war, das bis ans Ende aller Tage an ihr kleben bleiben sollte, und die Witwe, die mit dem Ausgang der Ereignisse nur so semi-glücklich war.

An das dritte Mädchen, das mit ihnen auf dem Hof lebte, verschwendete keine von ihnen einen Gedanken. Was nicht weiter verwunderlich war, denn das taten sie auch sonst kaum, da sie selten zu Hause anzutreffen war.

Die dritte Tochter, die der Tradition folgend ebenfalls Marie hieß, hatte nämlich keine Lust, sich wie ihre große Schwester die Finger blutig zu spinnen, nur um der alten Schreckschraube von Stiefmutter zu gefallen. Und den ganzen Tag im Haus herumhängen, wie ihre andere große Schwester, das war ihr zu langweilig.

Viel lieber trieb sie sich im Wald und auf der Wiese herum, pflückte Blumen und sammelte Beeren, Pilze und Nüsse. Sie besuchte auch gern die anderen Dorfbewohner und ließ sich dort mit den neuesten Neuigkeiten und den letzten Klatsch- und Tratsch-Geschichten versorgen, die sie im nächsten Haus oder Hof gleich weitererzählen konnte.

Wenn sie dann doch mal zu Hause war, um ihre Ernte abzuliefern, die Stube mit Blumen zu dekorieren oder die anderen Frauen mit ihren Geschichten von der Arbeit abzulenken, sagte die Witwe bald: „Jetzt wird’s mir aber zu bunt mit dir, Marie!“, und scheuchte sie wieder hinaus.

Wo bitte geht’s zur Frau Holle?

Natürlich kam dieser Marie bei ihren Nachbarschaftsbesuchen zu Ohren, was mit ihren Schwestern geschehen war. Sofort war ihre Neugier geweckt und sie lief schnell nach Hause, um die ganze Geschichte zu erfahren.

Während Goldmarie freudig Auskunft gab, verzog Pechmarie nur missmutig ihr schwarz verschmiertes Gesicht und sagte kaum ein Wort. Doch Marie Nummer drei gab keine Ruhe und fragte weiter. Sie fragte und fragte, bis die Witwe schließlich sagte: „Jetzt wird’s mir aber zu bunt mit dir, Marie!“, und sie hinausscheuchte.

„Das will ich auch sehen“, dachte sich die dritte Marie, lief zum Brunnen, der zuvor schon ihren Schwestern als Portal gedient hatte, und sprang hinein, um ebenfalls ins sagenhafte Reich der Frau Holle zu gelangen. Sie vergaß sogar, vorher eine blutige Spindel hineinzuwerfen.

Und tatsächlich: Auch sie landete auf der schönen Blumenwiese, auf der vorher schon die anderen beiden Maries angekommen waren. So konnte sie sich gleich mit bunten Blüten eindecken. Ein paar davon steckte sie sich ins Haar und in ihre Knopflöcher.

Nussbrot und gepflückte Äpfel

Selbstredend kam sie auch zu dem Backofen, in dem schon das Brot plärrte und darauf bestand, herausgeholt zu werden. Erfreut, jemanden zum Reden zu haben, erzählte sie dem Brot von den Gebäckstücken, die sie von zu Hause kannte, während sie es aus dem Ofen hievte.

Sie erzählte vom Sauerteigbrot, von den Sonntagskrapfen und den Semmeln, die in den Frikadellen landeten, wenn sie alt und hart geworden waren. Das Brot lauschte andächtig und freute sich, im Anschluss noch ein paar Nüsse in die Kruste gedrückt zu bekommen und dadurch etwas interessanter zu schmecken.

Danach gelangte sie zum Apfelbaum, der danach verlangte, geschüttelt und von seinen schweren reifen Früchten befreit zu werden. Aber Marie schüttelte den Baum nicht. Sie kletterte auf seine Äste und pflückte die Äpfel einzeln per Hand. Zwischendurch aß sie einen davon.

So hatte sie genug Zeit, dem Baum von all den Bäumen, Gewächsen und Blumen zu erzählen, die es bei ihr zu Hause im Wald gab, und freute sich, dass er so aufmerksam zuhörte.

Stets zu Diensten, Frau Holle

Als sie endlich beim Haus der Frau Holle ankam, war es schon Abend. Die alte Frau stand bereits am Eingang und lächelte sie mit ihren großen Zähnen an. „Soso, noch eine Marie“, stellte diese fest. „Ich nehme an, auch du möchtest in meinen Dienst treten?!“
„Das will ich gern tun“, antwortete Marie. „Solang es euch nicht zu bunt mit mir wird.“

Das wurde es nicht. Frau Holle war zwar etwas irritiert von der eigenwilligen Natur ihrer neuen Haushaltskraft, doch sie hörte gern die Geschichten von den Menschen auf der Erde, die Marie ihr erzählte.

Dazu schüttelte diese das Bett stets enthusiastischer auf als nötig. Und weil sie jeden Tag ein paar frische Blumen auf die Kissen legte, bekamen die Schneeflocken, die zur Erde rieselten, sogar einen farbigen Schimmer und erzeugten einen winterlichen Regenbogen, was der Frau Holle durchaus zusagte.

Eine Aufgabe und ein Geschenk

Mit der Zeit wurde Marie jedoch immer stiller. „Bestimmt hast du Heimweh“, vermutete die Frau Holle. „Möchtest du wieder nach Hause, zurück zu deiner Familie?“
„Eigentlich nicht. Bei Euch gefällt es mir viel besser als zu Hause. Ihr hört mir zu und es wird euch nie zu bunt mit mir.

Aber mir sind die Geschichten ausgegangen. Ich habe euch alles erzählt, was ich erlebt habe. Das Brot und der Apfelbaum haben kaum etwas Neues zu berichten. Und auch sonst passiert hier nichts Aufregendes.“

„Es ist dir also nicht bunt genug bei mir“, stellte Frau Holle fest und schmunzelte. „Dann komm mal mit. Ich habe eine neue Aufgabe und ein Geschenk für dich.“

Damit drückte ihr die Frau Holle ein Säckchen mit Samen in die Hand. „Das sind Holunder- und Wacholdersamen. Säe sie überall dort aus, wo du einen guten Platz dafür findest. Dann denken die Menschen an mich, auch wenn es gerade nicht schneit.“

Danach führte sie Marie zum großen Tor, das zuvor schon die Goldmarie und die Pechmarie hervorgebracht hatte, und sagte: „Ab jetzt kannst du mit dem Wind über den Regenbogen reisen. Erkunde die Welt, säe meine Samen und besuch mich ab und zu mal, damit ich neue Geschichten von den Menschen hören kann.“

Kikeriki, die Buntmarie …

Und als Marie schließlich etwas wehmütig durch das Tor ging, rieselten lauter bunte Blütenblätter auf sie herab, die an ihr haften blieben und nicht verwelkten.

Noch bevor zu Hause der unvermeidliche Hahn krähen konnte: „Kikeriki, kikeriki, die Buntmarie ist wieder hie“, war sie schon auf einem Regenbogenstrahl weitergereist, um neue Orte für sich zu entdecken.

Sie kam weit herum, hörte und erzählte viele Geschichten und lebte ein glückliches, buntes Leben nach ihren eigenen Vorstellungen. Bei der Witwe und ihren restlichen Töchtern ließ sie sich nach wie vor kaum blicken. Außerdem passte sie nicht so recht in die gewünschte Moral. Daher wurde sie im Märchen über die Frau Holle nicht erwähnt.

Bis jetzt. 😉

Ende

Wie hat dir meine kleine Märchenvariation gefallen? Hast du vielleicht schon eine Idee für eine eigene Version? Falls du auch einen Blog hast und dein eigenes Weihnachtsmärchen dort veröffentlichst, würde ich mich riesig freuen, wenn du sie mir hier im Kommentar verlinkst.

Ich wünsche dir fröhliches Fabulieren. 😉

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